Aus dem 16. Jhdt stammen die Mauern, die heute noch die Jerusalemer Altstadt umgeben. Sogar vor 50 Jahren im Sechstagekrieg dienten die Mauertürme dem jordanischen Militär als Stützpunkte. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei, die Mauer bleibt bestehen und zieht nun Touristen an, auf die ein sehenswerter Rundgang wartet.
Das Drehkreuz am Eingang entwertet zwar brav meine Eintrittskarte, rührt sich jedoch trotzdem nicht einen Millimeter. Erst ein um Unterstützung gefragter Mitarbeiter gewährt mir Einlass und ermöglicht mir einen wunderbaren Ausblick auf die Jerusalemer Altstadt:
An meinem zweiten freien “Off-Tag” war mein Ausflugsziel gemeinsam mit zwei anderen Zivis Betlehem – meine erste richtig arabische Stadt hier in Israel. Um von Jerusalem noch Betlehem zu kommen, muss man an der MAUER vorbei, jener israelischen Sperranlage die ca. seit dem Jahr 2000 errichtet wird, um das von Israel besetzte palästinensische Westjordanland vom restlichen Israel zu trennen. Als eine Einrichtung zur Terrorabwehr sehen es die einen, als Weg, um Palästinenser zu schikanieren, die anderen. Das Problem ist nicht der Weg nach Betlehem, sondern der Weg zurück. Dort wird streng kontrolliert. Insbesondere Palästinenser werden von oben bis unten gefilzt.
Direkt vor der Geburtskirche in Betlehem gabelte uns ein Taxifahrer auf, ein freundlicher, junger Mann Ende 20, der uns geschickt überredet hat, seine Tour zu den nächstgelegenen Sehenswürdigkeiten in Anspruch zu nehmen. Im Nachhinein war ich sehr froh, dass wir ihn getroffen haben. Beispielsweise hat er uns berichtet, dass er noch nie in Jerusalem gewesen sei. Betlehem liegt zwar nur 10 Kilometer davon entfernt und doch sind diese 10 Kilometer für unverheiratete, junge Männer oft unüberwindbar. Der Staat Israel gibt ihnen keine Erlaubnis, den Checkpoint an der Sperranlage zu überqueren, da diese Männer die Hauptrisikogruppe für Anschläge darstellen.
Außerdem haben wir erfahren, dass unser Taxifahrer keine Frau heiraten kann. Er müsste der Familie des Mädchens, das er heiraten möchte, viel Geld zahlen – Geld das er momentan nicht hat und so schnell womöglich auch nicht sparen kann.
All diese Informationen muss man mit Vorsicht genießen. Schon beim Vorbereitungsseminar in Österreich hat man uns gewarnt, nicht dem erstbesten Palästinenser oder Israeli auf den Leim zu gehen und seine Sichtweise zu übernehmen. Der Konflikt ist differenzierter zu betrachten und Schuld liegt sicher bei beiden Konfliktparteien – die Leidtragenden jedoch sind, wie so oft, alle Menschen, die hier gerne einfach nur in Frieden leben würden. Ohne radikale Einstellung ein ruhiges Leben abseits bitterer Armut.
Jeder der hier im Hospiz als Zivildiener seine Arbeit beginnt landet irgendwann mal in der Küche beim Geschirrwaschen. Auch ich war bei meiner Ankunft gleich drei Tage in der Küche. Man arbeitet dort wirklich im Akkord. Tassen, Gläser, Teller einräumen. Geschirrspüler einschalten. Geschirr abtrocken, Besteck polieren. Maschine ausräumen. Maschine wieder einräumen. Polieren. Ausräumen. Einräumen und so geht das weiter. Diese Industriegeschirrspüler sind ja unglaublich schnell und haben einen Spülgang in wenigen Minuten abgeschlossen.
Irgenwann wirst du auch in anderen Tätigkeitsfeldern eingesetzt: Abräumen und Sauberhalten des Gastgartens, Aufdecken für Essen der Gäste und Mitarbeiter, Rezeptionsdienst, Bürodienst, Dienst im Kaffeehaus. Kennengelernt hab ich bisher das Spülen in der Küche, das Kaffeehaus und die Arbeit im Gastgarten. Allen neuen Diensten gemeinsam war bis jetzt, dass ich sie am ersten Tag als sehr stressig empfunden habe. Du bekommst so viele Dinge erklärt und die einheimischen, arabischen Mitarbeiter, die dich einführen, haben oft wenig Geduld, etwas zweimal zu erklären. Ist irgendwie auch verständlich, schließlich gibt es jedes Jahr neue Zivis, die alle neu eingeschult werden müssen. Wenn du das Jahr für Jahr erlebst, wird es eben lästig. Jedes mal die gleichen Anfangsfehler…
Allen Tätigkeiten bisher war aber auch gemeinsam, dass es nach wenigen Tagen besser wird. Keine Arbeit hier ist so komplex, dass sie nicht in einigen Tagen erlernbar ist (was natürlich nicht ausschließt, dass man Wochen und Monate braucht, um es wirklich zu perfektionieren). Aber man beherrscht die Grundlagen schnell. Am ersten Tag wunderst du dich, “Wie soll ich das ein Jahr lang aushalten” Am zweiten Tag: “Hey, das ist ja gar nicht mehr neu, das kenn ich schon von gestern” und am dritten, vierten, fünften Tag: “Was schon aus? War doch eigentlich ganz lustig”
Natürlich, manchmal dauert es dann doch lange bis zum Arbeitsende, aber im Grunde macht es Spaß zu arbeiten. Wir Zivis haben ja auch das Glück zu wissen, wann unsere Zeit im Hospiz wieder endet. Hätte ich die Perspektive, zehn oder zwanzig Jahre in diesem Job zu verbringen, wäre ich sicher irgendwann frustriert, weil es auf lange Sicht kaum Fortschritt gibt. Man kommt nicht weiter. Das war durchaus positiv an der Schulzeit: Es herrscht kein Stillstand, jedes Jahr im Herbst bist du eine Klasse höher und weißt, dass du in ein paar Jahren fertig bist. Gut zur Motivation!
Vermutlich alles keine neuen Erkenntnisse, die ich hier aufzähle, aber so waren meine ersten Erfahrungen am Arbeitsplatz in Jerusalem.
Schon an meinem ersten freien Tag konnte ich eine berühmte “Sehenswürdigkeit” besichtigen – das Tote Meer. Schließlich hat sich eine Gruppe Zivis mit dem Auto aufgemacht zum Toten Meer. Großteils waren Zivildiener dabei, die noch vom letzten Jahr hier sind und sich daher auskennen.
Das Schwimmen oder vielmehr das Nicht-Schwimmen und Sich-Treiben-Lassen war wirklich eine lustige neue Erfahrung. Nur kosten sollte man das Wasser nicht. Schmeckt ganz anders als normales Meerwasser, richtig beißend und bitter. Schattige Plätze gibt es hier zum Glück, sonst hätten wir es nicht ausgehalten. Das Thermometer am Strand zeigte am frühen Nachmittag 46 Grad Celsius. Zurück in Jerusalem kommt es dir dann bereits richtig kühl vor.
Schade nur, dass das Tote Meer sich immer weiter zurückzieht und langsam austrocknet. Anscheinend müssen die Strände jedes Jahr um einige Meter nachgezogen werden, weil vom einzigen Zufluss des Toten Meeres, dem Jordan, zu viel Wasser für andere Zwecke abgezweigt wird. Sieht traurig aus, verwaiste Rutschenanlagen zu sehen, die heute 30 bis 40 Meter vom Strand entfernt stehen.
Nun komme ich am Abend meiner Ankunft in mein Zimmer, das wirklich groß ausgefallen ist. Die Zimmer der meisten anderen Zivis sind kleiner. Zum Empfang bereit steht sehr nett hergerichtet: eine Flasche Wasser, Servietten, Broschüren und auch der Dienstplan für diese Woche, der mir verrät, dass es gleich am nächsten Tag um 8 Uhr in der Früh losgeht – Geschirrwaschen.
Die Arbeit dieses Jahr dient meiner Einsatzstelle, dem “Österreichischen Hospiz zur Heiligen Familie in Jerusalem”. Was ist nun dieses Hospiz? Das Haus hat, entgegen einer häufigen Annahme, nichts mit Sterbebegleitung zu tun. Das Österreichische Hospiz ist ein Pilger-Hospiz, ein Gästehaus für Wallfahrer. Tatsächlich ist diese zweite Bedeutung des Wortes Hospiz heute so wenig geläufig, dass ins neue Logo die Bezeichnung Österreichisches Pilger-Hospiz eingeflossen ist, um Missverständnisse vorzuzbeugen.
In wenigen Wochen wird hier eine Feier anlässlich 160 Grundsteinlegung stattfinden. Als Prestige-Objekt und zur Stärkung der österreichisch-ungarischen Monarchie hier im Heiligen Land ist das Haus ursprünglich gebaut worden. Zwei Weltkriege hinterließen auch in der Geschichte des Hospizes Spuren, so wurde das Haus in dieser Zeit abwechselnd als Internierungslager für Geistliche, als Offiziersschule, als Waisenhaus und als jordanisches Spital eingesetzt. Seit nun knapp 30 Jahren dient es wieder als Pilgerhaus – ein kleines Stückchen Österreich mitten in Jerusalem.
So lange wartet man auf diesen Zeitpunkt, wünscht sich Schuljahr und Matura zu Ende – und dann ist es auf einmal da. Im letzten Moment dann plötzlich so schnell. Den richtigen Flug zu finden, mit Stolpferfalle in diesem Fall. Fliegen doch AUA und die israelische El Al im zeitlichen Abstand von nur 10 Minuten beide von Wien nach Tel Aviv. Mein Ticket war für den Flug der El Al, was größere Auswirkungen hat, als im ersten Moment gedacht. Die obligatorische Sicherheitskontrolle findet nämlich bei El Al-Flügen schon am Abflughafen, bei Flügen anderer Airlines erst beim israelischen Flughafen statt.
Eigentlich nicht so dumm – schließlich muss man ohnehin einige Zeit vor dem Abflug am Flughafen bereitstehen und hat dann bei der Einreise die Befragung bereits hinter sich. 40 Minuten wollte der Sicherheitsbeamten alles und noch mehr über meine Gründe, nach Israel zu gehen, meine Tätigkeit dort, meine Tätigkeit in Österreich vorher und die geplante nach diesem Jahr wissen. Ob ich israelische oder palästinensische Kontakte in Österreich hätte, ist auch so eine Standardfrage. Irgendwann kann es wirklich nervig werden, wenn der Beamte immer und immer nachbohrt. Aber man muss sich den Bedingungen unterwerfen, es gibt schließlich kein Recht, in ein fremdes Land einreisen zu dürfen.
So nimmt man dann auch auf sich, dass von einem gefordert wird, alle elektronischen Gegenstände in den Koffer zu packen. Dass ich im ungünstigsten Fall dadurch ohne Handy in Tel Aviv stehen könnte, war mir erstmal gleich. Dringender war herauszufinden, wie man in den ohnehin zum Platzen gefüllten Koffer am besten noch Laptop, Handy, Kamera, MP3-Player und und und hineinbekommt.
Um das Ganze dann aber abzukürzen: Die Geräte haben Platz gefunden, der Koffer ist durchwühlt, aber immerhin zur rechten Zeit am rechten Flughafen angekommen. Angenehm war es auch, in Tel Aviv bereits von zwei österreichischen Jugendlichen erwartet zu werden. Zwei Zivildiener aus dem letzten Jahr mit den zusammenpassenden Namen Max und Moritz waren vorher beim Ikea einkaufen und konnten mich am Rückweg nach Jerusalem mitnehmen.
An so einem völlig neuen Ort hab ich dann auch erstmal gestaunt und all die Eindrücke aufgesogen: Arabische Musik aus dem Radio, der rasante, oft lebensgefährlich aussehende Fahrstil in Israel, die gelben Autokennzeichen, die Stadt Jerusalem selbst, die beim ersten Besuch von Tel Aviv noch viel unübersichtlicher und hügeliger wirkt als in der eigenen Vorstellung. Irgendwann erscheint dann auch die Altstadt und ich konnte zum ersten Mal durch die Autofenster den herausstechenden Felsendom mit eigenen Augen sehen.
Ich wusste erstmal nicht, wohin überall die Augen wenden, so viel Neues war zu sehen.